Madeira, oft als Perle des Atlantiks bezeichnet, besitzt eine reiche und faszinierende Geschichte, die ihre Kultur, Landschaft und bekannte Gastfreundschaft tief geprägt hat. Im 15. Jahrhundert von portugiesischen Seefahrern entdeckt, entwickelte sich die atlantische Insel rasch zu einem strategischen Zwischenstopp und florierenden Handelsstützpunkt. Im Laufe der Jahrhunderte wurde Madeira durch Zuckerrohrplantagen, seinen berühmten Likörwein und seine einzigartigen Traditionen bekannt. Heute können Besucher wortwörtlich durch die Geschichte wandern – auf Kopfsteinpflasterstraßen mit kolonialer Architektur oder bei Festen, die uralte Bräuche feiern – und dabei entdecken, wie sehr die Vergangenheit im heutigen Madeira weiterlebt.
Entdeckung und portugiesische Besiedlung (15. Jahrhundert)
Die dokumentierte Geschichte Madeiras beginnt 1419, als die portugiesischen Kapitäne João Gonçalves Zarco und Tristão Vaz Teixeira eine kleine Insel entdeckten, die sie Porto Santo nannten, nachdem sie durch einen Sturm vom Kurs abgekommen waren. Im darauffolgenden Jahr sichteten sie die größere, bewaldete Insel und nannten sie Ilha da Madeira – „Insel des Holzes“. Da die Insel unbewohnt war, begann Portugal 1420 mit der Besiedlung durch Siedler aus der Algarve sowie Strafgefangene. Die Verwaltung wurde aufgeteilt: Zarco erhielt Funchal, Tristão Vaz Machico und Bartolomeu Perestrelo Porto Santo. 1508 wurde Funchal durch König Manuel I. offiziell zur Stadt erhoben.
Die ersten Siedler standen vor der Herausforderung, den dichten Lorbeerwald (Laurisilva) zu roden. Mit großflächigen Bränden – die laut Chroniken sieben Jahre lang wüteten – wurde Ackerland geschaffen. Die fruchtbaren Vulkanböden wurden zunächst für Getreideanbau genutzt. Um Wasser zu verteilen, bauten die Siedler ein ausgeklügeltes Netz von Levadas – schmalen Bewässerungskanälen, die Wasser aus dem Gebirge zu den Feldern leiteten. Viele dieser Levadas sind heute beliebte Wanderwege durch atemberaubende Naturlandschaften – ein lebendiges Erbe der Pionierzeit.
Atlantikhandel und Zuckerära
Mitte des 15. Jahrhunderts wurde Madeira zu einem zentralen Knotenpunkt im Atlantikhandel. Nach der Getreidephase verlagerte sich die Wirtschaft auf ein weitaus profitableres Produkt: Zuckerrohr. Prinz Heinrich der Seefahrer brachte um 1452 Zuckerrohrpflanzen und Anbautechniken von Sizilien auf die Insel. Dank des subtropischen Klimas, fruchtbarer Böden und zugänglicher Häfen entwickelte sich Madeira innerhalb weniger Jahrzehnte zu einem der wichtigsten Zuckerlieferanten Europas.
Funchal wuchs zu einem geschäftigen Handelszentrum heran, in dem sich Kaufleute aus Genua, Flandern, Spanien und anderen Ländern trafen. Die Besucher von heute können diese Epoche im Zuckermuseum von Funchal nacherleben und den Reichtum jener Zeit in barocken Kirchen und prachtvollen Herrenhäusern bewundern.
Doch die Zuckerwirtschaft erlebte mit der Konkurrenz aus Brasilien und der Karibik sowie erschöpften Böden einen raschen Niedergang. In dieser Übergangszeit lebte Christoph Kolumbus einige Jahre auf Madeira, nachdem er die Tochter des Gouverneurs von Porto Santo geheiratet hatte. Seine Kenntnisse über Atlantikströmungen, die er dort erwarb, waren womöglich entscheidend für seine spätere Reise nach Amerika. Das Kolumbus-Haus in Porto Santo und das alljährliche Kolumbus-Festival erinnern daran.
Der Aufstieg des Madeira-Weins
Nach dem Niedergang der Zuckerproduktion wurde der Madeira-Wein zum neuen Aushängeschild der Insel. Weinbau existierte seit den Anfängen der Besiedlung, aber erst im 17. Jahrhundert begann der Siegeszug des Likörweins auf dem Weltmarkt. Sein besonderer Vorteil: Der Wein überstand lange Seereisen nicht nur unversehrt, sondern wurde durch die Wärme in den Laderäumen sogar besser. Diese „Erhitzung“ wurde später durch das Estufagem-Verfahren zur kontrollierten Reifung übernommen.
Der Wein wurde in Nordamerika und Großbritannien überaus populär – so sehr, dass bei der Unterzeichnung der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung 1776 mit Madeira-Wein angestoßen wurde. Britische Händler gründeten feste Niederlassungen in Funchal und machten die Insel zu einem bedeutenden Exportzentrum.
Während der Napoleonischen Kriege besetzte Großbritannien Madeira (1807–1814), um die Insel vor französischer Kontrolle zu schützen – eine friedliche Besatzung. Zwar sorgte die Reblaus im 19. Jahrhundert für Rückschläge, doch die Weinproduktion erholte sich schnell.
Heute können Besucher Weinproben in historischen Weinkellern wie der Blandy’s Wine Lodge machen, das Weinmuseum besuchen oder am herbstlichen Madeira-Weinfest teilnehmen, das die Weinlese mit Folklore, Traubenstampfen und Verkostungen feiert.
Kolonialarchitektur und historische Sehenswürdigkeiten
Der über Jahrhunderte gewachsene Wohlstand spiegelt sich bis heute in der kolonialen Architektur Madeiras wider. Im Zentrum von Funchal finden sich prachtvolle Bauwerke aus dem 15. bis 19. Jahrhundert im gotischen, manuelinischen, barocken und klassizistischen Stil. Die Kathedrale Sé, erbaut zwischen 1493 und 1514, beeindruckt mit einem Mudéjar-Holzdeckengewölbe. In der Nähe stehen das Jesuitenkolleg, der Palast São Lourenço sowie die Festung São Tiago, die einst den Hafen verteidigte.
Im Norden, im Ort Santana, stehen die berühmten traditionellen Strohhäuser – kleine, dreieckige Bauernhäuser mit steil abfallenden Strohdächern. Sie gelten als Symbol Madeiras und stammen aus der Frühzeit der Besiedlung. Einige von ihnen sind als Volkskundemuseum erhalten und für Besucher zugänglich.
Zahlreiche alte Gutshöfe (Quintas), ehemalige Zuckerrohrmühlen und Weinpressen wurden restauriert und dienen heute als Hotels, Museen oder kulturelle Zentren – Orte, an denen Geschichte erlebbar bleibt.
Lokale Traditionen und Feste mit Geschichte
Viele von Madeiras beliebtesten Festen und Bräuchen haben jahrhundertealte Wurzeln. Die Festa da Senhora do Monte im August ist ein religiöses Pilgerfest, bei dem Gläubige zur Wallfahrtskirche von Monte hinaufsteigen. Das Blumenfest, das nach Ostern stattfindet, verwandelt Funchal in ein Meer aus Farben, mit Blumenteppichen, Festwagen und dem Bau einer „Mauer der Hoffnung“ durch Kinder.
Der Karneval in Funchal kombiniert lokale Traditionen mit brasilianischer Samba – ein Ergebnis der Emigration vieler Madeirer nach Brasilien und ihrer Rückkehr. Im Herbst feiert das Weinfest die Winzerkunst mit Vorführungen, Musik und Geselligkeit.
Auch kleinere Feste in ländlichen Regionen – etwa zur Bananenernte oder Zuckerrohrverarbeitung – laden Reisende ein, authentisches Inselleben hautnah zu erleben.
Gelebte Geschichte: Identität und Gastfreundschaft
Die Geschichte Madeiras zeigt sich nicht nur in Bauwerken und Museen, sondern lebt auch in ihrer Bevölkerung. Seit Jahrhunderten war die Insel Knotenpunkt des Atlantiks, offen für Reisende und Kulturen. Schon im 19. Jahrhundert war sie ein beliebtes Kurziel für europäische Aristokraten und Schriftsteller. Noch heute serviert das legendäre Reid’s Palace Hotel, 1891 gegründet, seinen berühmten Afternoon Tea in denselben Gärten, in denen Winston Churchill einst malte.
Historische Quintas wurden liebevoll zu Boutiquehotels umgebaut, die alten Levadas dienen als Wanderwege durch unberührte Natur, und der Laurisilva-Wald, heute UNESCO-Weltnaturerbe, bewahrt sein urzeitliches Ökosystem.
Sehenswürdigkeiten wie das Madeira Story Centre, das Museum für sakrale Kunst und das Kolumbus-Haus bringen die Vergangenheit auf anschauliche Weise näher. Von handbemalten Azulejos bis hin zu traditioneller Stickerei – Madeiras Geschichte zeigt sich in jedem Detail des Alltags.
Fazit
Auf Madeira ist Geschichte kein Relikt der Vergangenheit – sie ist Teil des täglichen Lebens. Eine Reise dorthin ist mehr als ein Urlaub: Sie ist eine kulturelle Entdeckungstour durch sechs Jahrhunderte. Wer durch die Gassen Funchals schlendert, Wein aus jahrhundertealten Kellern probiert oder mit Einheimischen bei einem Fest tanzt, wird Teil einer lebendigen Geschichte. Madeira bietet nicht nur spektakuläre Landschaften, sondern auch eine gelebte, geteilte und geschätzte Vergangenheit, die jeden Besuch zu etwas Besonderem macht.